20.01.2024, 13:42 Uhr | Aeneas
Hallo an alle!
Mich beschäftigt seit längerer Zeit die Frage: Wie wird aus einem Jungen ein Mann. Bald werde ich 18 und bin dann volljährig, aber ist man dann automatisch ein Mann?
Es ist sicherlich ein Prozess, der mit dem Einsetzen der Pubertät beginnt. Aber wann ist dieser abgeschlossen? Die viel wichtigere Frage für mich ist jedoch, wie wird man ein Mann? Was zeichnet ein Mann aus? Wie soll ICH als Mann sein?
Ich habe ein wenig gegoogelt und man gelangt sofort auf Seiten, wie aus einem Jungen ein Mann wird, wobei Mann und Männlichkeit mit dem traditionellen Bild von Männlichkeit in einem Patriarchat (muskulös, Familienernährer, stark, Macho usw.) gleichgesetzt wird. In die gleiche Richtung geht die im Aufwind befindliche AFD, welche gefühlt die 50er, 60er Jahre zurück haben möchte und in den Sozialen Medien finden sich Männlichkeits-Coaches.
Die meisten Jungs in meinem Jahrgang gehen ins Gym, um ihre Muskeln zu stählen oder schauen Fußball und grölen besoffen um die Wette.
Jeder der diesem Bild nicht entspricht wird abgewertet und schnell als schwul oder Schwuchtel bezeichnet. Man ist dann kein richtiger Mann. Ein Mann in der Rolle einer Frau.
Ich selbst entspreche nicht diesem traditionellen Bild von Mann oder Männlichkeit.
Auf der anderen Seite hat sich das typischen Männerbild verändert und man spricht heutzutage zurecht von einer toxischen Männlichkeit. Das Patriarchat gerät ins Wanken. Männer dürfen auch weinen und Gefühle zeigen. Frauen und Kinder fordern dies auch ein. Männer und Frauen sind gleichberechtigt und man diskutiert über gendergerechte Sprache die hauptsächlich von den Männern als „Gaga“ abgestempelt wird und viele diskutierten über den Film Barbie und Geschlechterrollen.
Wenn in einer idealen Welt Männer und Frauen komplett gleichberechtigt sind, was unterscheidet sie dann noch?
Wenn es keine Unterschiede gibt, geht dann (ein Stück) Identität verloren?
Beim googeln bin auf eine Broschüre vom Bundesministerium für Familie usw. stoßen. Sie heißt: Jungen und Männer im Spagat: Zwischen Rollenbildern und Alltagspraxis.
Diese fand ich wirklich interessant. Dort gibt es Ausführungen zu den Punkten
- Geschlecht ist eine soziale Konstruktion
- Selbstdefinition und Rollenerwartungen
- Jungen sind nicht von Geburt an männlich, sondern müssen männlich werden
- Orientierung an Männlichkeitskonstruktionen von anderen Jungen und Männern aber auch an den Konstruktionen von Mädchen und Frauen
- „Da Männlichkeit als Wesensmerkmal von Mannsein gilt, sind Jungen zu irgendeiner Männ- lichkeit „gezwungen“. Diese ist ihnen aber nicht mehr – wie in vormodernen Zeiten – vorgege- ben, sondern aufgegeben. Jungen müssen sich ihre Männlichkeit auswählen.“
- „Diese Wahlen treffen Jungen allerdings keineswegs völlig frei und autonom: Werte und Ideale, Ikonen und Idole, Formen, Ausdrucksmittel und Stile werden von ihnen in der Regel nicht erfunden, sondern sind gesellschaftlich vermittelt, hierarchisiert und bewertet.“
Das fand ich sehr interessant und spannend, macht es aber irgendwie für mich nicht leichter.
Wenn ich mir es aussuchen kann: Welcher Mann will ich also sein?
Andererseits empfinde ich den gesellschaftlichen Druck und den Druck aus meinem Umfeld unglaublich hoch, sodass ich gefühlt keine freie Wahl habe. Naja eigentlich habe ich sie, aber ich muss dann mit den Konsequenzen - Ausgrenzung - rechnen bzw. diese in Kauf nehmen.
Welche Gedanken und Meinungen habt Ihr dazu?
Mich würde auch interessieren, was die anderen Jungs hier darüber denken!
Grüße
Aeneas
07.04.2024, 09:14 Uhr | bke-Claudia
Hallo Aeneas,
ich möchte dir danken, dafür, dass du das Thema hier eingebracht hast.
Norm, Normalität ist etwas Statistisches und somit nicht wirklich Menschliches.
Männerrollen/ Frauenrollen sind über tausende Jahre gewachsen und sind sehr fest verankert im Leben. Nur sehr langsam ändert sich da etwas.
Frauen durften irgendwann Hosen tragen, durften irgendwann arbeiten, wählen......Männerrollen weichen sich aus meiner Sicht viel langsamer auf.
Elternzeit für Väter (Männer), Teilzeit für Väter usw.
Es geht hier doch um Menschen, Menschen in bunter Vielfalt, die lernen müssen mit dieser Vielfalt umzugehen. Was bin ich für ein Mensch? Ist das nicht die entscheidende Frage?
Du bist Aeneas, mit all deinen Wesenszügen, deinen Stärken, deinen Schwächen, deinen Vorlieben für Farben und mein Eindruck ist, du bist ein ganz wundervoller und einzigartiger Mensch.
bke-Claudia
07.04.2024, 07:37 Uhr | Aeneas
Hallo alle zusammen!
Ganz großen Dank an Euch alle, für eure Beiträge!
Ich habe lange überlegt, wie ich antworte.
Evtl. scheint alles zu dem Thema gesagt worden zu sein.
Danke, dass ihr mir zugehört habt und mich auf der Suche nach mir selbst unterstützt.
Ich passe offensichtlich nicht in die Norm und muss es wohl akzeptieren und damit leben immer wieder anzuecken und andere zu provozieren, obwohl ich alles dafür tue nicht aufzufallen und nicht anzuecken. Aber offensichtlich fühlen sich andere Jungs bedroht oder es macht ihnen einfach nur Spaß, andere introvertierte schlanke Jungs mit Gewichtsproblemen, mit Interessen, die nicht mainstream sind, und Rucksäcken voller Probleme und so einige Komplexe habe, anzumachen und auszugrenzen.
Sorry, ich bin seit einigen Tagen nicht gut drauf und habe aufgrund der Ferien (viel Zeit) viele komische Gedanken in meinem Kopf.
Als ich heute morgen das Forum und die neuesten Beiträge aufgerufen habe, ist mir gleich der Satz "Was stimmt mit mir nicht?" aus einem anderen Thread ins Auge gesprungen.
Die Frage beschäftigt mich seit Jahren und nach so einigen Wochen und Monaten hier bei bke, scheinen sich so einige die Frage zu stellen - leider.
Wenn sich aber so viele diese Frage stellen, könnte man sich eigentlich auch die Frage stellen, was stimmt mit den anderen nicht?
Eigentlich möchte Ich ja irgendwie nur dazu gehören - tue es aber nicht.
Ich selbst sehe mich als hetero-cis-Mann, was ja auch irgendwie ein Stück meiner Identität ist, aber andere sehen mich anscheinend nicht so, nur weil ich nicht in die große allgemein gültige "Männlichkeits-Schublade" passe.
Vielleicht habe ich irgendwann mal genügend Selbstwert, dass es für mich ok ist und mich nicht ständig frage, was mit mir nicht stimmt.
Ich wiederhole es gerne noch einmal, danke für eure Beiträge und Unterstützung.
Viele Grüße
Aeneas
Hallo Apollo,
danke für Dein berührendes Posting. Ich will jetzt nicht alles kommentieren, ich glaube, das braucht es auch gar nicht. Was mir gut gefällt ist: Es gibt nicht "DEN" Mann. Wir Menschen sind alle unterschiedlich. Sogar wir Männer 🤭. Alle sind verletzlich. Und gerade Männer haben oft auch weiche Seiten, sogar Väter 😎, auch wenn die das, warum auch immer, vermutlich geprägt von Rollenerwartungen, viel zu oft nicht zugeben. Auch in Comics, die uralt sind, werden bei Superhelden diese Seiten gezeigt. Bei Superman, wenn er wieder seinen Vater trifft (auch wenn diese Geschichte sehr verworren ist), Batman, der erst zum Superhelden wird, weil er seinen Vater so vermisst und rächen will (ja, die Jungs wollen dann immer alles mit Kämpfen lösen, blöde Idee). Eigentlich gibt es in der Literatur (Born to run, Bruce Springsteen), in Filmen (das Wunder von Bern), in Songs (Grönemeyer: Männer) ganz viele Beispiele dazu. Beispiele, wie Söhne sich mit dem Vater und/oder den Männerbildern auseinandersetzen. Du hast diese Beispiele gar nicht gebraucht, beobachtest, beschäftigst Dich, weißt immer mehr, wie Du sein willst und wie Du nicht sein willst. Es wäre sicher sehr gut, wenn sich viele Jungs mit Männerrollen auseinandersetzen würden.
Und wie schön, dass Dein Vater so positiv und emotional auf Deinem Brief reagiert hat!
So viel zu meinen Gedanken zu Deinem Posting,
viele Grüße schickt Dir
bke-Stephan
Hallo!
Eigentlich hatte ich bei meinem letzten Beitrag geschrieben, dass anscheinend wohl alles gesagt ist.
Ein gutes halbes Jahr später möchte ich jedoch etwas ergänzen, da das Thema auf die neue Internetseite mit umgezogen ist. Evtl. hilft es einigen, evtl. ist es sinnlos, aber dann konnte ich mir immerhin etwas von der Seele schreiben.
Seit gut einem halben Jahr gehe ich nicht mehr zu Schule, weil ich es psychisch nicht mehr hinbekomme. Dadurch habe ich Abstand zu denjenigen aus meiner Schule bekommen und mir ist aufgefallen, dass dies mir in einer Hinsicht auch gut tut.
Evtl. sehe ich es nur, weil ich den Abstand bekommen habe oder keine Ahnung. Jedenfalls dieses ich nenne es mal „männliches Gehabe“ erlebe ich nicht mehr. Ständig dieser Vergleich wer ist „stärker“, wer ist durchtrainierter (iwie gehen alle ins Gym), wer hat eine Freundin, wer verträgt mehr Alk, wer hat die besseren Klamotten, wer… usw.?
All das habe ich in den letzten Monaten nicht mehr gehabt und es macht es für mich entspannter evtl. auch freier im Kopf, weil ich diesem Druck nicht ausgeliefert bin.
Nicht dass ich mir wirklich was daraus gemacht hätte oder aktiv in den „Wettstreit“ gegangen bin, aber indirekt hat es mich schon beeinflusst und unter Druck gesetzt, weil ich als Junge/junger Mann nicht in die typischen Schubladen passe und damit struggel.
In den letzten Monaten musste ich mich noch stärker als bisher mit mir selbst zurecht kommen und was das Thema Männlichkeit oder ein Mann werden betrifft, muss ich sagen, dass ich mich ein bisschen mehr akzeptieren kann, als noch vor einem halben Jahr und ich nicht mehr ständig diesen Druck fühle.
Das zweite, was mir zu diesem Thema aufgefallen ist, dass ich selbst diese Schubladen im Kopf habe. :(
Ich hatte vor 2 Wochen einen Fahrradunfall. Es war nichts schlimmes, aber meine Angstzustände haben sich aus zwei Gründen dadurch verstärkt und sind häufiger geworden.
Seitdem habe ich zum einen die stärker gewordenen Ängste und zum anderen ein ganz großes Schutzbedürfnis und möchte mich am liebsten nur in meinem Zimmer und da auch noch am liebsten unter die Decke verkriechen.
Wegen einer anderen Sache habe ich meinem Dad einen Brief geschrieben. In diesem Brief bin ich auch auf diesen Unfall mit den Folgen eingegangen, weil es ein Streitthema geworden ist und ich nicht wirklich erzählen könnte was passiert ist und dass ich seitdem noch stärkere Ängste entwickelt habe.
Dank bke-Beratung habe ich den Mut gefunden nicht nur den Brief zu schreiben, sondern auch zu schreiben, was ich mir wünsche und was ich brauche. Das ist mir am schwersten gefallen.
In dem Brief habe ich geschrieben, dass ich dieses Schutz- und Sicherheitsbedürfnis habe. Dabei habe ich eine Situation mit meinem Dad beschrieben in der ich ganz klein war und er mich beschützt hat und ich mich in seinen Armen so sicher gefühlt habe. Es hat mich echt Überwindung gekostet sowas zu schreiben, weil ich mich dafür geschämt habe. Wie kann ich als 18-jähriger so kindische Gefühle haben? Ich hatte auch Angst wie mein Dad darauf reagieren würde.
Nachdem mein Dad den Brief gelesen hat, kam er in mein Zimmer und hat mich in den Arm genommen. Hauptsächlich wegen der anderen Geschichte (Anlass des Briefes) aber auch wegen meiner stärkeren Ängste.
Die Umarmung tat richtig gut, aber dann wurde es mir zu viel (siehe anderer Thread von mir), Ich kürze es hier mal ab.
An dem Vormittag haben wir uns viel unterhalten. Richtig unterhalten und mein Dad, der auch nicht so redselig ist, hat mir gesagt, dass er mich gerne umarmt und früher auch gerne mit mir gekuschelt hat. Es ist für ihn Ausdruck von Nähe und Liebe, die ihm auch gut tut.
Hier muss ich meinen Dad glaube ich einmal näher beschreiben. In jeder Klasse, Familie, Gruppe usw. gibt es diesen einen Typen (beliebt, charismatisch, gutaussehend, erfolgreich mit einem sehr guten aber auch gesunden Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl). Ich habe auch so einen Typen in meinem Jahrgang und eine Mitschülerin nennt ihn immer Sunnyboy. Ich finde diesen Begriff Sunnyboy für diesen Typ Menschen (männlich) sehr passend. Genauso ein Sunnyboy ist mein Dad und mein älterer Bruder.
Wie gesagt, mein Dad meinte, dass er mich früher gerne in den Arm genommen und gekuschelt hat. Das hat ihm Selbstvertrauen und Energie gegeben. Er sagte, dass es ein tolles Gefühl ist, von den Kindern so geliebt zu werden und der Größte bzw. Superheld für sie zu sein. Mein Dad meinte, dass er dieses Gefühl vermisst. Natürlich sollen die Kinder selbstständiger und unabhängiger werden. Das ist gut und richtig so. Die Kehrseite sei dabei, dass er als Dad weniger gebraucht und die Nähe weniger wird. Er meinte, dass er dieses Gefühl auch vermisst und mich natürlich jetzt auch gerne umarmt und mir somit auch gerne Kraft und Schutz geben möchte, erst Recht weil ihm dies auch so viel Kraft und Energie gibt.
Das hat mich sehr verwundert! So habe ich meinen Dad noch nie reden gehört und gesehen. Ich habe ihn als Sunnyboy als „richtigen“ Mann in eine Schublade gesteckt und ihm einfach Verhaltensweisen und Eigenschaften abgesprochen nur, weil es so selbstsicher wirkt.
Wir haben uns weiter darüber unterhalten und er sagte mir, dass er sich natürlich auch unsicher fühlt und Ängste hat. Sowohl was die Erziehung, die Ehe, seine Kinder und den Job angeht. Er ist auch manchmal traurig oder verunsichert und sucht dann die Nähe zu meiner Mum. Er selbst ist anders erzogen worden (ein Mann weit nicht und muss stark sein usw.) und er hat zu seinem Vater deswegen auch kein gutes Verhältnis, wie er mir verraten hat.
Wie gerade geschrieben, war dies für mich Mindblowing, weil ich diese Seite an meinem Dad, dem Sunnyboy, dem richtigen Mann nie gesehen habe und mir wäre niemals in den Sinn gekommen, dass er auch verunsichert oder ängstlich sein und wenig Selbstvertrauen und Selbstwert und (vielen) Selbstzweifeln haben kann. Ehrlich gesagt, kann ich es wirklich noch nicht ganz glauben, weil er ein ganz anderes Auftreten hat und dies überhaupt nicht ausstrahlt. Für mich war und ist er immer so stark und unverletzlich gewesen.
Das gibt mir seit letzter Woche so einiges zu denken. In Stein gemeisselte Ansichten (fast schon Weltbilder) sind erneut ins Wanken geraten.
Der logische Schluss wäre ja auch, wenn dies für meinen Dad gilt, gilt dies wahrscheinlich auch für viele (evtl. alle) andere Sunnyboys, die aus meiner Sicht immer mit einem guten Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein durchs Leben gehen und irgendwie immer perfekt sind und keine Probleme zu haben scheinen.
Dieser Gedanke beschäftigt mich tatsächlich sehr, denn ich habe diese Typen für ihr Leben (ohne Probleme, ohne Ängste, ohne Selbstzweifel) immer sehr beneidet.
Ich weiß nicht, ob ihr mir überhaupt noch folgen könnt und ob das alles in die Kategorie Gedenkenmüll gehört.
Danke an diejenigen, die bis hierhin gelesen haben.
Viele Grüße
Apollo aka Aeneas